Bremen (rd.de) – Angehörige an der Einsatzstelle können für das Rettungsteam Segen und Fluch gleichermaßen sein: Niemand kennt den Patienten und seine gesundheitlichen Probleme besser als Vater, Mutter oder der Ehepartner. Allerdings ist niemand emotional stärker mit dem Betroffenen verbunden als eben diese Personen. Die Kunst besteht für den Rettungsdienst darin, sich die positiven Faktoren zunutze zu machen. 10 Tipps zum Umgang mit Angehörigen im Einsatz.
1. Das Rettungsteam sollte versuchen, einen Blick für die Emotionen der Angehörigen zu entwickeln. Dem Ehepartner oder den Eltern eines Kindes droht eine psychische Traumatisierung und ist insofern ein indirektes Notfallopfer.
2. Stellen Sie sich als Rettungsfachkraft namentlich kurz vor. Das schafft eine Vertrauensbasis und nimmt ein Stück weit die Anonymität. Indem Sie erklären, dass Sie zum Beispiel Rettungsassistent oder Notfallsanitäter seien und den Patienten jetzt kurz untersuchen müssten, signalisieren Sie Kompetenz.
3. Angehörige in der Nähe des Patienten zu belassen, kann sich positiv auf die Psyche des Erkrankten bzw. Verletzten auswirken. Er spürt den seelischen Beistand, was seinen Stress reduziert.
4. Nicht jeder Mensch hat in seinem Leben schon medizinische Notfallsituationen kennengelernt. Er reagiert daher aus Sicht des Rettungsteams vielleicht paradox, ist überängstlich oder zu sorglos. Versuchen Sie als Rettungsfachkraft, dem Betroffenen die Situation in allgemeinverständlichen Worten sachlich zu erläutern.
5. Auf dem Rettungsteam ruhen sehr große Erwartungen seitens der Angehörigen. Die Realität kann diese Hoffnungen jäh zunichtemachen. Stellen Sie sich darauf ein, dass sich die Enttäuschung gegen Sie richten kann. Bleiben Sie dann ruhig und versuchen Sie, dem Betroffenen die Ausgangslage und die durchgeführten Maßnahmen zu erklären.
6. Stellen Sie fest, dass bei einem Angehörigen Schuldgefühle aufkommen, kann das Rettungsteam diesen in einem Gespräch behutsam entgegenwirken. Frühzeitig daran denken, die Notfallseelsorge oder ein Kriseninterventionsteam nachzufordern.
7. Besonders wenn Kinder verletzt oder schwer erkrankt sein sollten, ist zu überlegen, die Eltern bei der Versorgung einzubeziehen. Vater und/oder Mutter wird so das Gefühl der Hilfslosigkeit genommen.
8. Angehörigen können kleinere Aufgaben wie das Halten einer Infusion oder das Zusammenstellen der vom Hausarzt verschriebenen Medikamente übertragen werden. Verantwortungsvollere Tätigkeiten wie eine Thoraxkompression kommen hingegen nicht infrage. Unsinnige Aufgaben – für einen Intubierten ein Glas Wasser holen – führen zu Misstrauen und Ärger.
9. Verfolgen Angehörige eine (erfolglose) Reanimation selbst mit, kann das für die Verarbeitung des Erlebten von Vorteil sein. Sie sehen, dass das Rettungsteam alles Menschenmögliche unternommen hat, der geliebte Mensch aber nicht gerettet werden konnte.
10. Ist der Patient ansprechbar, ist er für das Rettungsteam die Hauptansprechperson. Mit ihm und nicht mit dem Angehörigen werden in erster Linie Diagnose und mögliche Prognose besprochen. Die beste Lösung ist ein gemeinsames Gespräch von Patient, Angehörigem und zum Beispiel Notarzt.
(Text und Fotos: Herbert Mannel, Rettungsassistent, Krankenpfleger, Ausbilder, Einsatzleiter Rettungsdienst und KIT; zuletzt aktualisiert: 21.03.2016)